Begriffsdefinition
\label{begriffsdefinition}
In der oft sehr emotional geführten Diskussion rund um die Reform der
Primärversorgung werden immer wieder dieselben Begriffe verwendet,
jedoch oft mit unterschiedlichen Bedeutungen. Da es für eine sachliche
Diskussion essentiell ist, wollen wir mit einer Definition jener
Begriffe beginnen, die oft sehr starke Reaktionen auslösen.
Primary Health Care (PHC)
\label{primary-health-care-phc}
Für PHC gibt es international unterschiedliche Definitionen. In der
österreichischen Diskussion wird der Begriff mehr oder weniger Synonym
für eine umfassende Primärversorgung verwendet. Wir übernehmen für den
Begriff PHC die deutsche Übersetzung der
Definition
der Expertenkomission der Europäischen Kommission in der PHC die
Versorgungsebene bezeichnet, “…welche allgemein zugängliche,
integrierte, personenzentrierte und umfassende sowie familienorientierte
und gemeindenahe Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung
bereitstellt” \cite{kathryn_hoffmann_primarversorgung_2014}.
Grundversorgung
\label{grundversorgung}
Grundversorger_innen behandeln allgemeine Krankheiten, bilden die
Eintrittsstelle ins Versorgungssystem, sind für dringliche Fälle
zuständig, für alle zugänglich, bieten eine umfassende, kontinuierliche
Betreuung, nehmen Triagefunktionen wahr und koordinieren mit
Spezialist_innen \cite{kunzi2005grundversorgungsmedizin}.
Primärversorgungseinrichtung
(PVE)
\label{primuxe4rversorgungseinrichtung-pve}
Eine PVE ist eine den Anforderungen des neuen Primärversorgungskonzeptes
“Das Team rund um den Hausarzt” entsprechende Versorgungseinheit, ohne
dass dabei nähere Aussagen über die Organisationsform (Zentrum vs.
Netzwerk), Eigentümerschaft, oder Teamzusammensetzung getroffen wird.
PHC-Zentrum
\label{phc-zentrum}
Ein PHC-Zentrum ist eine PVE in der die beteiligten Gesundheitsberufe unter einem
Dach zusammenarbeiten. Auch hier wird jedoch noch keine nähere Aussage
über die Eigentümerschaft oder Teamzusammensetzung getroffen.
Insbesondere ist ein Zentrum nicht gleichzusetzen mit einer bestimmten rechtlichen
Organisationsform (z.B. einem Ambulatorium).
Allgemeinmedizin
\label{allgemeinmedizin}
Allgemeinmedizin ist sowohl eine akademische und wissenschaftliche
Disziplin, als auch ein eigenständiges klinisches Fach, zu dessen
Kernaufgaben die Primärversorgung gehört \cite{wonca_europe_european_2011}.
Hausarztmedizin
\label{hausarztmedizin}
In diesem Positionspapier definieren wir die Hausarztmedizin als
Anwendung der Allgemeinmedizin im hausärztlichen Setting der
Primärversorgung. In Abgrenzung dazu können Ärzt_innen für Allgemeinmedizin auch in
anderen Bereichen zur Anwendung kommen, u.a. im Rahmen des
Schularztwesens, der Arbeitsmedizin oder der allgemeinmedizinischen
Betreuung von stationären Patienten auf Spezialabteilungen.
“Das Team rund um den
Hausarzt”
\label{das-team-rund-um-den-hausarzt}
2014 wurde im Rahmen der Bundesgesundheitskonferenz der Startschuss zur
Neugestaltung der Primärversorgung in Österreich gesetzt. Ziel war die
Skizzierung einer vernetzten, räumlich und zeitlich einfach zugänglichen Form der Primärversorgung, die damit für die gesamte Bevölkerung gleichermaßen und gleichwertig verfügbar ist. Nach einem Gesprächsprozess mit sämtlichen Gesundheitsberufen
und Verantwortlichen des Gesundheitssystems wurde das Konzept “Das Team
rund um den Hausarzt” von der österreichischen
Bundeszielsteuerungskommission beschlossen \cite{bundeszielsteuerungskommission_konzept_2014}.
Gesundheitsreform 2012 - Bundeszielsteuerungskommission und
15a-Vereinbarung
\label{gesundheitsreform-2012---bundeszielsteuerungskommission-und-15a-vereinbarung}
Im Rahmen der Gesundheitsreform 2012 wurden auch die sog.
Bundesgesundheitskommission (Aufgabe: Weiterentwicklung des
leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierungsmodells (LKF) und die
Weiterentwicklung der Gesundheitsziele für Österreich) und die
Bundeszielsteuerungskommission als Entscheidungs-und
Organisationseinheiten ins Leben gerufen, gemeinsam mit den
Gesundheitsplattformen und Landeszielsteuerungskommissionen. Letztere
sind für die Umsetzung der Bundesbeschlüsse auf Landesebene
verantwortlich.
Der Bundeszielsteuerungskommission gehören je vier VertreterInnen des
Bundes, der Länder und der Sozialversicherung an. Beschlüsse werden
einvernehmlich gefasst. Zentrale Aufgabe der
Bundeszielsteuerungskommission ist der Beschluss des
Bundeszielsteuerungsvertrags, sowie beispielsweise die Festlegung des
Jahresarbeitsprogramms und die Wahrung von Agenden des
Sanktionsmechanismus. Der Bundeszielsteuerungsvertrag wird von Bund,
Ländern und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger
unterschrieben \cite{bundesministerium_fur_gesundheit_gesundheitsreform_2012}.
Gemäß der 15a-Vereinbarung ist nunmehr der österreichische Strukturplan
Gesundheit (ÖSG) und damit verbunden die regionalen Strukturpläne (RSG)
in ihrer Umsetzung verbindlich und Hauptverantwortung der
Bundeszielsteuerungskommission und der Landeszielsteuerungskommisionen.
In beratender Funktion gibt es auf Bundes- und Landesebene die
Bundesgesundheitskommissionen und Gesundheitsplattformen. In diesen ist
jeweils auch eine Vertretung der Ärztekammern vorgesehen \cite{osterreichisches_parlament_vereinbarung_2016}.
Der freie Beruf und Freiberuflichkeit
\label{der-freie-beruf-in-uxf6sterreich}
Freie Berufe sind in
Österreich
Berufe im
öffentlichen
Interesse, die nicht von der
Gewerbeordnung
erfasst werden, sondern in Spezialgesetzen geregelt sind und über ein
eigenes Berufsrecht
verfügen. Der Ausdruck bezeichnet also einen
Berufsstand \cite{noauthor_freier_2016} \cite{bundeskonferenz_der_freien_berufe_osterreichs_freien_nodate}.
Freiberuflichkeit bezeichnet eine Form der selbstständigen Erwerbstätigkeit, die eigenverantwortlich und fachlich unabhängig durchgeführt wird \cite{osterreich_welche_nodate}. Auch im Kontext des ärztlichen Berufsstandes und im Ärztegesetz unterscheidet man prinzipiell die freiberufliche Tätigkeit in der Abgrenzung zur Tätigkeit im Rahmen eines Dienstverhältnisses \cite{osterreichisches_parlament_arztegesetz_1998}.
Die Freiberufliche Tätigkeit bezieht sich daher auf das Individuum, während der Ausdruck "Freier Beruf" den Berufsstand beschreibt. Diese Abgrenzung wird in den laufenden Diskussionen nicht immer scharf getroffen. Dies sorgt oft für Verwirrungen und sollte daher besonders berücksichtigt werden.
Anhang - Der Freie Beruf
Das Thema Freiberuflichkeit und Freier Beruf ist hoch emotional besetzt und oft ein Kernpunkt in den Diskussionen rund um die Änderung von Versorgungsstrukturen. Die Reflexion über die gesellschaftliche Rolle des Berufstandes und die persönlichen Vorstellungen und Ideale, die mit einer Tätigkeit als Ärztin oder Arzt verbunden sind, bleibt in Anbetracht von heftigen gesundheitspolitischen Diskussionen und einem intensiven klinischen Arbeitsalltag oft auf der Strecke. Im folgenden wollen wir versuchen, ein paar grundlegende Fragen zu klären. Wir erheben aber nicht den Anspruch, hier eine abschließende Diskussion dieses Themas zu präsentieren.
Die Freien Berufe sind ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Es handelt sich um hochgradig verantwortungsvolle
Berufe, die Zugang zu zentralen öffentlichen Gütern wie Recht und Gesundheit bereitstellen. Dadurch sind sie stark vom Vertrauen der Bevölkerung abhängig und stellen gleichzeitig eine Art Mittler zwischen Gesellschaft und Staat dar.
Angehörige Freier Berufe erbringen aufgrund besonderer Qualifikation geistige Leistungen im Interesse ihrer Auftraggeber und der
Allgemeinheit. Diese erbringen sie persönlich, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig. Ihre Berufsausübung unterliegt spezifischen berufs- und
standesrechtlichen Bedingungen, wobei neben der staatlichen Gesetzgebung die jeweilige Berufsvertretung einen gewissen autonomen Rechtsspielraum hat, um Professionalität, Qualität und das besondere Vertrauensverhältnis zu gewährleisten und weiter zu entwickeln.
In Deutschland gilt eine ähnliche Definition: “Die Freien Berufe haben
im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation
oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und
fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im
Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.”
Als Charakteristik der freien Berufe werden dort angeführt:
Professionalität: Die hochqualifizierte Beratung und
Vertretung, neutral und fachlich unabhängig
Gemeinwohlverpflichtung: Die Sicherung der
Gesundheitsvorsorge, Rechtsordnung und Kultur liegt im Interesse aller
Bürger, die der Allgemeinheit verpflichteten Freiberufler tragen dafür
besondere Sorge
- Selbstkontrolle: Patienten erwarten
persönliche Betreuung auf neuestem Kenntnisstand. Der hohe ethische
Anspruch der Freiberufler und strenge Selbstkontrolle sollen die Qualität sicherstellen.
Eigenverantwortlichkeit: Freiberufler sind mehrheitlich
selbstständig tätig \cite{bundesverband_der_freien_berufe_e.v._uber_nodate}
Die Ärzteschaft zählt in Österreich zu den freien Berufen, welche durch ein eigenes Gesetz und eine eigene Standesvertretung verwaltet wird. Der freie Beruf des Arztes ist in Österreich über das Bundesgesetz über
die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte geregelt \cite{osterreichisches_parlament_arztegesetz_1998}. Diese Rechtsvorschrift definiert nicht nur die selbstständige Ausführung
des Berufes sondern auch Struktur und Aufgaben der Ärztekammer (2.
Hauptstück). Kern des freien Berufes ist die persönliche
Erbringung von Leistungen in eigenverantwortlicher
Ausübung und in fachlicher Unabhängigkeit. In der Ärzteschaft gibt es angestellte und freiberuflich tätige Ärzt_innen. Alle Ärzt_innen sind verpflichtet, sich bei der Ärztekammer, deren Standesvertretung, eintragen zu
lassen. Als freiberufliche Ärzt_innen gelten in der Gesetzesformulierung die sogenannten niedergelassene Ärzt_innen. Selbstverantwortliches Arbeiten und die wirtschaftliche Selbstständigkeit, sind die Kernelement der Freiberuflichkeit, wie sie
niedergelassene Ärzt_innen sehen.
Angestellte Ärzt_innen sind jedoch durch die eigene Rechtsgebung auch Teil
des Freien Berufes und ebenfalls durch die Ärztekammer vertreten. Sie sind somit Teil des
freien Berufes, jedoch nicht freiberuflich tätig, wie es
Niedergelassene sind. Zwar scheint scheint die Eigenverantwortlichkeit im Angestelltenverhältnis durch die dort herrschenden Bedingungen oftmals durch Vorgaben des Arbeitgebers oder hierarchische Strukturen eingeschränkt zu sein, jedoch besteht eine gewisse Form der Einschränkung des Handlungsspielraums durchaus auch im niedergelassenen Bereich, etwa im Rahmen der Kassenverträge. Ungeachtet dieser vertraglichen Rahmenbedingungen gilt jedoch sowohl im Angestelltenverhältnis als auch in der Niederlassung die (auch ethische) Verantwortung primär gegenüber den Patient_innen.
Im Ärztegesetz ist die selbstständige
Ausübung des Berufes - egal ob freiberuflich oder im Rahmen eines Dienstverhältnisses - klar definiert. Eine Bedrohung des Freien Berufes, wie sie vor allem im Rahmen von Reformbestrebungen immer wieder gesehen wird, kann somit
dann auftreten, wenn die gesetzlichen Grundlagen und
damit die gesetzliche Aufgaben der Ärztekammer in ihrer
Aufgabe zur Vertretung der Ärzteschaft geändert werden.
Oft wird auch eine Gefährdung der Freiberuflichkeit postuliert. Das Unterstreichen der Wichtigkeit der Freiberuflichkeit als Bestandteil des Freien Berufs durch die Ärztekammer ist dabei insofern nachvollziehbar, als zwar natürlich auch Ärzt_innen gewinnbringend arbeiten müssen, jedoch nicht primär die Gewinnmaximierung anstreben können. Durch die persönliche und eigenverantwortliche Tätigkeit und das besondere Vertrauensverhältnis nicht nur zwischen Berufsstand und Gesellschaft sondern auch zwischen Ärzt_in und Patient_in besteht eine unmittelbare ethische Verpflichtung den Patient_innen gegenüber, die eine Gewinnmaximierung ungeachtet negativer Folgen für die Patient_innen, verhindert.
Entsprechend der obigen Ausführungen ist somit eine Anstellung von Mediziner_innen innerhalb des Ärztegesetzes und innerhalb der
definierten Rahmenbedingungen durch die eigene Standesvertretung nicht
im Widerspruch zum freien Beruf zu sehen, da die Grundprinzipien der
persönlichen, eigenverantwortlichen und fachlich unabhängigen
Leistungserbringung gewahrt bleiben können. Als Problem könnte die ja auch bereits stattfindende Anstellung von ÄrztInnen
bei Organisationen/Trägern andere Interessen gesehen werden. Die
Gemeinwohlverpflichtung des Einzelnen könnte hier im Konflikt mit dem Anstellungsverhältnis stehen, wenn eine Anstellung durch ökonomisch getriebene Einrichtungen das Gemeinwohl zu
Gunsten von finanziellen Interessen (primäre Gewinnmaximierungen)
gefährdet. Jedoch ist auch die Gemeinwohlverpflichtung durchaus im Rahmen der Ärzteschaft als Ganzes zu sehen, die im Rahmen der Selbstverwaltung die Einhaltung ethischer Standards überwacht und gesamtgesellschaftliche und gesundheitspolitische Entwicklungen auch im Sinne der Patientinnen und Patienten beobachtet, analysiert und kommentiert.
Zusammenfassend kann man davon ausgehen, dass eine Anstellung bei Kolleg_innen nicht
den Freien Beruf im Sinne der Gemeinwohlverpflichtung,
Professionalität, Eigenverantwortlichkeit und Selbstkontrolle, gefährdet.
Anstellungen bei z.B. primär profitorientierten Trägern bringen aber durchaus einen Konflikt, etwa mit
der Gemeinwohlverpflichtung, mit sich. Die Standesvertretung als Organ des Freien Berufes ist hier durchaus berechtigt und gefordert, solche Bedenken gegenüber der Öffentlichkeit ehrlich zu kommunizieren.