Abgabe: 16. Februar 2018
1. Anpassungsmechanismen der biologischen Strukturen Muskel und Sehne
Die gesamte Muskel-Sehnen-Einheit besitzt die Fähigkeit zur Adaptation nach Stimulation durch äußere Einflüsse. Muskeln können sich über verschiedene Mechanismen an Reize anpassen und somit eine verbesserte Kapazität für eine bestimmte sportmotorische Leistung erlangen. Auf Ebene der Muskelfasern gibt es zum einen die Hypertrophie oder Hyperplasie der Fasern. Das Muskeldickenwachstum und die steigerung der Anzahl an Muskelfasern bezweckt gesteigerte Kraftentfaltungen \cite{Wackerhage_2017}. Des Weiteren ist es vornehmlich durch exzentrische Belastungen möglich, die Sarkomeranzahl in Reihe, also pro vorhandener Muskelfaser, zu erhöhen \cite{Vogt_2014}. Diese Anpassung kann eine erhöhte Geschwindigkeit der Kontraktion pro Muskelfaser bei gleicher Last verursachen und ist somit in Sprintsportarten von großer Bedeutung \cite{Vogt_2014}. Es ist allgemein bekannt, dass die Sehne wie der Muskel ebenfalls durch Strukturveränderungen ihre motorische Leistungsfähigkeit verändern kann. Auf mechanische Reize, welche zum Beispiel durch Sport hervorgerufen werden können, ist die Sehne in der Lage durch plastische Veränderungen eine Erhöhung des Querschnitts zu erreichen und somit ihre morphologischen Eigenschaften zu verändern \cite{Heinemeier_2011}. Sehnen haben als Einheit zusammen mit den Muskeln die Aufgabe, die Muskelkraft auf den Knochen zu übertragen. Zudem sind sie in der Lage Spannungen zu speichern oder zu absorbieren, welches sie funktionell wichtig für die sportmotorische Leistung macht. Sprintathleten besitzen einen höheren Anteil an Typ 2 und Typ 2x Muskelfasern im Muskelspektrum der unteren Extremitäten im Vergleich zu Ausdauerathleten. Dennoch konnten keine morphologischen Unterschiede der Beinmuskulatur zwischen den Athleten gefunden werden \cite{Stafilidis_2007}. Dem gegenüber konnten unterschiedliche Eigenschaften der Sehnen, welche Einheiten mit den untersuchten Muskelgruppen bilden, beobachtet werden. So erwies sich für die schnelle Gruppe von Sprintern im Vergleich zur langsameren Gruppe eine signifikant größere Längenveränderung der Sehne des M. vastus lateralis bei einem gegebenen Widerstand. Eine erhöhte Kraftspeicherung in der Sehne wäre somit vorstellbar und der Grund für die bessere Sprintleistung der Athleten \cite{Stafilidis_2007}.
2. Wirkzusammenhänge zwischen den neuro-muskulo-tendinösen Kapazitäten der unteren Extremität und der sportmotorischen Leistungsfähigkeit
Vor dem Start des 100m-Sprints bringt der Athlet seine Muskeln im Startblock auf Spannung. Hier wird ähnlich wie beim Squat-Jump statisch vorgedehnt. Die Muskel-Sehnen-Einheit (MTU) wird in eine statische Vordehnung versetzt. Innerhalb der MTU, die in Fig. 1 dargestellt ist, arbeitet der Muskel (CE) konzentrisch und verlängert somit gleichzeitig die Sehne, sie wird auf Spannung gebracht. Die Energie, die dadurch im System gespeichert wird, kann beim Start zusätzlich genutzt werden um einen möglichst hohen Kraftstoß zu erzeugen (PMTU ca. 30 % > Pmuscle). Dieses Phänomen wird auch als Katapulteffekt bezeichnet. Dabei hat die Höhe der Sehnensteifigkeit einen großen Einfluss auf die Performance. Durch die Entkopplung der Muskelsehneneinheit und des Muskels generiert der Athlet günstigere Kontraktionsbedingungen hinsichtlich der Kraft-Geschwindigkeits-, Kraft-Längen- und Effizienz-Geschwindigkeits-Relation um eine hohe mechanische Leistung zu erzeugen. Fig. 2 zeigt das Verhältnis der Kraftgenerierungsfähigkeit des Muskels und seine Abhängigkeit von der momentanen Muskellänge und seiner Kontraktionsgeschwindigkeit. Dabei hat jeder Muskel individuell unterschiedliche Optima der Kraftentfaltung in der Länge und Kontraktionsgeschwindigkeit. Des Weiteren ist anzumerken, dass je größer der physiologische Querschnitt des Muskels ist, desto mehr Kraft kann dieser erzeugen, da die Anzahl aktivierbarer Muskelfasern steigt.
In der Phase der Beschleunigung beim 100m-Sprint wirkt beim schnellen Nachvorneziehens des Oberschenkels vor allem das Prinzip der Anfangskraft, mit der der horizontale Kraftstoß dann vergrößert wird. Dieser kommt dadurch zustande, dass durch die vorangegangene Ausholbewegung, die positive Bewegung bereits mit einer höheren Kraft begonnen wird. Diese Eigenschaft ist erneut dem Serienelastischen Element (SEE) und dessen Eigenschaft der Energiespeicherung & Energiefreisetzung zuzuschreiben.
In der Phase des Geschwindigkeithaltens nutzt der Athlet mit langen Schritten den Bremsimpuls aus um durch einen Dehnungs-Verkürzung-Zyklus (DVZ) viel von dieser Energie wieder in die Beschleunigung zu stecken. Bei dem Vorgang der Energiekonservierung zeigt das SEE und die MTU einen DVZ, das CE allerdings nicht. Hauptenergiespeicher ist somit die Sehne. Die Längenänderung der Sehne ist dabei abhängig von der Steifigkeit des CE, ihrer Materialeigenschaften und der externen Last, in diesem Falle dem wirkenden Körpergewicht des Athleten. Zur Regulation der Steifigkeit der Muskulatur sind besonders die Aktivierung der Muskulatur vor Bodenkontakt (pre-activation), sowie der Dehnungsreflex entscheidend \citep{Ishikawa_2004}.
Zusätzlich zu den muskulo-tendinösen Eigenschaften spielt die nervale Innervation der unteren Extremitäten eine große Rolle hinsichtlich der sportmotorischen Leistungsfähigkeit. Ziel ist es, möglichst viele Muskelfasern zu aktivieren, bei gleichzeitigem Lösen neuronaler Hemmung des Antagonisten. Die Synchronisation von Motoreinheiten und die intramuskuläre Koordination, die über die Rekrutierung möglichst vieler fast-twitch-Muskelfasern und die Frequenzierung, d.h. der Intensitätsteuerung in welcher Frequenz die Nervenfasern und somit die Muskelfasern jeder motorischen Einheit entladen werden sollen, gesteuert wird, sind die entscheidenden Parameter des neuronal-motorischen Outputs.